Der Bundesgerichtshof (V ZR 206/14) hat entschieden, dass alleine durch das Bespielen eines zum Aufnehmen von Tondokumenten geeigneten und bestimmten Tonbandes keine neue Sache im Sinne des § 950 Abs. 1 BGB hergestellt wird. Das ist in vielfacher Hinsicht spannend – um den Bedeutungsgehalt zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass man der Auffassung sein kann dadurch, dass Inhalte eines Gesprächs mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet werden, der Sprecher nach § 950 Abs. 1 BGB Eigentümer der jeweiligen Tonbänder geworden sein könnte. Nach aktuellem Sachenrecht wäre dies anzunehmen, wenn durch die Aufzeichnung der Gespräche ist eine neue Sache entstanden ist.
Der BGH tritt dem hier entgegen, das Recht an der Sache folgt also nicht dem Recht an dem Inhalt der Sache.
Bisherige Rechtslage
Nach § 950 Abs. 1 Satz 1 BGB erwirbt derjenige, der durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, das Eigentum an dieser Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes. Als Verarbeitung gilt gemäß § 950 Abs. 1 Satz 2 BGB auch das Schreiben, Zeichnen, Malen, Drucken, Gravieren oder eine ähnliche Bearbeitung der Oberfläche.
Ob das Speichern von Daten auf einem Datenträger – und insbesondere wie hier das Bespielen eines Tonbandes – als Herstellung einer neuen Sache anzusehen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur allerdings nicht einheitlich beantwortet:
- Teilweise wird in diesem Zusammenhang ohne nähere Begründung angenommen, das Aufspielen eines Programms auf eine für Firmenzwecke bestimmte Diskette oder auf einen Rechner stellten Verarbeitungsvorgänge im Sinne des § 950 BGB dar (OLG Karlsruhe, CR 1987, 19, 20; LAG Chemnitz, CR 2008, 553). Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung gelangt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass durch das Bespielen von Tonbändern – zumindest wenn die Aufzeichnungen für eine längerfristige Nutzung bestimmt sind – im Wege der Verarbeitung neue Sachen hergestellt werden.
- Demgegenüber wird in der Literatur ganz überwiegend die Aufzeichnung auf einen Ton- oder Datenträger, jedenfalls wenn die Aufnahme ohne weiteres löschbar oder übertragbar ist, nicht als Herstellung einer neuen Sache angesehen (Bamberger/Roth/Kindl, BGB, 3. Aufl., § 950 Rn. 5 aE; MüKoBGB/Füller, 6. Aufl., § 950 Rn. 10; Palandt/Bassenge, BGB, 74. Aufl., § 950 Rn. 3; RGRK/Pikart, BGB, 12. Aufl., § 950 Rn. 10; Soergel/Henssler, BGB, 13. Aufl., § 950 Rn. 8; Staudinger/Wiegand, BGB [2011], § 950 Rn. 9 aE; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl., § 53 II 2 Rn. 7; Kolb, GRUR-RR 2014, 423, 424).
- Nach einer differenzierenden Auffassung soll allerdings dann von einer Verarbeitung ausgegangen werden, wenn die Datenträger durch den Speichervorgang nicht nur eine neue Funktion und Bezeichnung erhalten, sondern- wie im Falle von zum Verkauf bestimmten Musik-CDs oder Video-Kaufkassetten – erst ihre eigene wirtschaftliche Bedeutung erlangen (jurisPK-BGB/Vieweg, 7. Aufl., § 950 Rn. 15).
Entscheidung des BGH
Der BGH hat die Frage dahin entschieden, dass jedenfalls durch das Bespielen eines zum Aufnehmen von Tondokumenten geeigneten und bestimmten Tonbandes allein keine neue Sache im Sinne des § 950 Abs. 1 BGB hergestellt wird:
Ob durch Verarbeitung oder Umbildung eine neue Sache hergestellt wird, bestimmt sich maßgeblich nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1977- VIII ZR 172/76, NJW 1978, 697 f.; OLG Köln, NJW 1991, 2570; 1997, 2187; OLG Stuttgart, NJW 2001, 2889, 2890; Bamberger/Roth/Kindl, BGB, 3. Aufl., § 950 Rn. 5; MüKoBGB/Füller, 6. Aufl., § 950 Rn. 7 f.; Palandt/Bassenge, BGB, 74. Aufl., § 950 Rn. 3).
Eine neue Sache liegt dann vor, wenn sie eine eigenständige, gegenüber den einzelnen verarbeiteten Sachen weitergehende Funktion erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 1995 – II ZR 260/94, NJW 1995, 2633). Hat sich durch die Verarbeitung der wesentliche wirtschaftliche Verwendungszweck geändert und hat der Ausgangsstoff nach der Verkehrsauffassung durch die vorgenommenen Handlungen eine Wesensänderung erfahren, spricht dies für das Entstehen einer neuen Sache. Entscheidend ist, dass zwischen Ausgangsstoff und Verarbeitungsprodukt keine Identität mehr besteht. In diesem Zusammenhang ist ein wesentliches Indiz für das Entstehen einer neuen Sache, wenn das Ergebnis der Verarbeitung im allgemeinen Sprachgebrauch mit einem anderen Begriff bezeichnet wird als der verarbeitete Stoff (vgl. Staudinger/Wiegand, BGB [2011], § 950 Rn. 9 mwN; Erman/Ebbing, BGB, 14. Aufl., § 950 Rn. 4; PWW/Prütting, BGB, 10. Aufl., § 950 Rn. 5). Weitere Anhaltspunkte können erhebliche Veränderungen der Sachsubstanz, die Dauerhaftigkeit der Veränderung oder ein neues äußeres Erscheinungsbild sein (vgl. Staudinger/Wiegand, BGB [2011], § 950 Rn. 9 mwN; jurisPK-BGB/Vieweg, 7. Aufl., § 950 Rn. 11 mwN).
Hieran gemessen sind die Tonbänder durch die Aufnahme der zwischen den Parteien geführten Gespräche nicht zu einer neuen Sache verarbeitet worden.
Ein Tonband erfährt durch das Aufnehmen von Tondokumenten als solches keine substantielle Veränderung. Die Aufnahme führt zwar dazu, dass sich die Magnetschicht des Tonbands physikalisch verändert. Diese Veränderung ist aber Voraussetzung und Kernstück seiner bestimmungsgemäßen Benutzung. Ohne seine veränderbare Magnetbeschichtung und die Veränderung dieser Magnetschicht beim Aufnehmen könnte ein Tonband nicht als Speichermedium für Tondokumente verwendet werden. Es wäre ein funktionsloses Kunststoffband. Für seine Funktion als Speichermedium ist es typisch, dass es sowohl zum einmaligen Aufnehmen von Tondokumenten als auch zum wiederholten Aufnehmen und Löschen verschiedener Tondokumente verwendet werden kann. Zu einer anderen Sache kann ein Tonband – ebenso wie ein CD-Rohling – durch das Aufnehmen oder Speichern von Tondokumenten deshalb nur werden, wenn es dadurch seine typische Funktion verändert. Das wäre etwa dann der Fall, wenn eine unbespielte Musikkassette in einem Musikverlag mit Musiktiteln oder einem Hörbuch bespielt wird, die in dieser Form vertrieben werden sollen.
Dann wird, darin ist dem Berufungsgericht Recht zu geben, aus einem Speichermedium ein Instrument zum Vertrieb der Musiktitel oder des Hörbuchs. Eine solche Veränderung haben die Tonbänder durch die Aufnahme der Gespräche zwischen den Parteien aber gerade nicht erfahren. Sie sind während dieser Gespräche angefertigt worden, damit die Parteien für die Herstellung der Memoiren des Klägers die Gespräche noch einmal anhören können. Die Tonbänder sind damit als Speichermedium eingesetzt worden und dienen diesem Zweck weiterhin.
Sie sind entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht dadurch verändert und Eigentum des Klägers geworden, dass die auf ihnen aufgenommenen Gespräche des Beklagten mit ihm von großer historischer Bedeutung sind und die Bänder deshalb weder gelöscht noch mit anderen Inhalten überschrieben werden sollen. Auch das einmalige Bespielen eines Tonbands mit Tondokumenten, die – etwa zur persönlichen Erinnerung – dauernd aufbewahrt und erhalten werden sollen, gehört, wie ausgeführt, zum gewöhnlichen Funktionsumfang und Zweck eines Tonbands.
Ob Tondokumente nur vorübergehend oder dauernd gespeichert werden sollen, hängt nicht von der besonderen Eigenart oder von einer Veränderung des Tonbands durch die Aufnahme ab, sondern von den aufgenommenen Inhalten. Ihre Bedeutung und Einmaligkeit zeichnen nur die Inhalte, aber nicht die Tonbänder als Speichermedien aus und besagen über die eigentumsrechtliche Zuordnung des Speichermediums nichts. Die Berechtigung an den Inhalten folgt anderen Regeln als das Eigentum an den Speichermedien. Ihre Anwendung muss nicht zu denselben Ergebnissen führen (vgl. MüKoBGB/Füller, 6. Aufl., § 950 Rn. 4). Auch das Urheberrecht gewährt dem Werkschöpfer nur Ausschließlichkeitsrechte am (immateriellen) geistigen Eigentum, nicht aber ein Recht auf Eigentum oder Besitz an den einzelnen Werkstücken (vgl. BGH, Urteile vom 26. Oktober 1951 – I ZR 93/51, NJW 1952, 661, 662 und vom 27. September 1990 – I ZR 244/88, BGHZ 112, 243, 247). Der an den Inhalten Berechtigte kann zwar auch Eigentümer des Tonbands sein, auf dem sie gespeichert sind, etwa wenn er es käuflich erworben hat. Notwendig ist das aber nicht. Entschließt er sich etwa dazu, dieselben Inhalte nicht auf einem eigenen Tonband zu speichern, sondern beispielsweise auf einem über das Internet zugänglichen Speicherplatz in einem entfernten Rechenzentrum (sog. Cloud), bleibt er weiterhin alleiniger Berechtigter der gespeicherten Inhalte. Er wird dadurch indessen weder rechtsgeschäftlich noch kraft Gesetzes Miteigentümer der Speichermedien in der Computeranlage des Dienstleisters, der ihm darauf den Speicherplatz eingeräumt hat. Diese Anlage verändert durch die bestimmungsgemäße Benutzung als virtueller Speicher weder ihre Substanz noch ihre Funktion. Ebenso läge es, wenn der Beklagte die Gespräche mit dem Kläger statt in analoger Form auf einem Tonband in digitaler Form auf seinem Notebook oder Smartphone gespeichert hätte. Auch dann stünden dem Kläger zwar die Rechte an den Inhalten, aber nicht das Eigentum an dem Notebook oder Smartphone des Beklagten zu.
An der eigentumsrechtlichen Zuordnung der Tonbänder ändert es schließlich nichts, dass sie (wirtschaftlich) wertvoll sind, weil ihr Besitz den Zugang zu den auf ihnen aufgenommenen Inhalten bietet. Auch dieser Umstand ist nicht der besonderen Eigenart der Tonbänder oder ihrer Veränderung oder Umbildung durch die Aufnahme geschuldet.
BGH, V ZR 206/14
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