Entscheidung des LG Heidelberg zur Verwertbarkeit heimlicher Tonaufnahmen

In einem aktuellen Urteil des Landgerichts Heidelberg (vom 05.08.2024 – 4 O 44/24) wurde die komplexe Frage der Verwertbarkeit von heimlich erstellten Tonbandaufnahmen in zivilrechtlichen Verfahren erörtert.

Im vorliegenden Fall nahm die Klägerin heimlich ein Gespräch mit dem Beklagten auf, nachdem es zu einem Streit unter Nachbarn gekommen war. Der Beklagte beleidigte die Klägerin mehrfach, und es stellte sich die Frage, ob diese heimlich erstellte Aufnahme vor Gericht als Beweis zugelassen werden könne, obwohl der Beklagte der Aufzeichnung zunächst nicht zugestimmt hatte. Diese Entscheidung unterstreicht die schwierige Balance zwischen Strafbarkeit und Beweisverwertung bei der Verwendung moderner Beweismittel in deutschen Gerichten.

Sachverhalt

Die Klägerin und der Beklagte waren Nachbarn und zugleich Miteigentümer einer Wohnanlage. Ihr Verhältnis war angespannt, vor allem wegen Streitigkeiten über Parkplätze.

Am Abend des 31. März 2023 eskalierte die Situation erneut, wobei der Beklagte die Klägerin beleidigte. Ohne vorherige Ankündigung nahm die Klägerin das Gespräch mit ihrem Smartphone auf. Etwa 15 Sekunden nach Beginn der Aufnahme informierte sie den Beklagten über die Aufzeichnung, woraufhin dieser mehrfach äußerte, dass sie die Aufnahme fortsetzen könne. Der Streit vor Gericht drehte sich daher um die Frage, ob diese Aufnahme als Beweis verwendet werden darf, wobei sie entscheidend für die Beweisführung war.

Rechtliche Bewertung

Persönlichkeitsrechtsverletzung und Verstoß gegen § 201 StGB

Heimliche Aufzeichnungen, ohne Zustimmung des Betroffenen, stellen grundsätzlich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie einen Verstoß gegen § 201 StGB dar, der das Abhören nicht öffentlich gesprochener Worte unter Strafe stellt. Dies erkannte das LG Heidelberg an, stellte jedoch fest, dass ein solcher Verstoß nicht automatisch zu einem Beweisverwertungsverbot führen muss. Vielmehr sei eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Abwägung der Interessen

Das Gericht berücksichtigte sowohl das Persönlichkeitsrecht des Beklagten, das durch die heimliche Aufnahme beeinträchtigt wurde, als auch das berechtigte Interesse der Klägerin, ihre zivilrechtlichen Ansprüche durchzusetzen. Dabei ging es insbesondere um die Beleidigungen und Drohungen des Beklagten, die dokumentiert werden sollten.

Einwilligung in die Aufnahme

Ein entscheidendes Argument des Gerichts war, dass der Beklagte nach der Information über die laufende Aufnahme erklärte, die Klägerin könne die Aufnahme fortführen. Das LG Heidelberg betrachtete diese Zustimmung als wirksame Einwilligung für die anschließenden Aussagen des Beklagten. Für die vorherigen, ohne Wissen des Beklagten gemachten Aufnahmen, ließ das Gericht die Verwertung hingegen nicht zu.

Verwertbarkeit ohne Einwilligung

Selbst wenn die ersten 15 Sekunden als heimlich aufgenommen gelten, sah das Gericht die Aufnahme dennoch als verwertbar an. Diese Entscheidung wurde mit der Beweisnot der Klägerin und der nachträglichen Zustimmung des Beklagten begründet. In solchen Fällen könne das Interesse der Klägerin überwiegen.

Rechtswidrigkeit heimlicher Aufnahmen

In mehreren Beiträgen meines Blogs habe ich bereits das Thema der Rechtswidrigkeit heimlicher Aufnahmen behandelt, die in der Regel nach § 201 StGB strafbar sind. Besonders im Bereich der Cyberkriminalität und des Datenschutzes stellt sich oft die Frage, ob unrechtmäßig erhobene digitale Beweise vor Gericht verwendet werden dürfen. Auch hier steht regelmäßig die Abwägung der betroffenen Rechtsgüter im Vordergrund, also der Schutz des Persönlichkeitsrechts gegen das Interesse an der Wahrheitsfindung.

Wie bereits häufig betont, ist ein Verwertungsverbot nicht zwingend die Folge einer rechtswidrigen Aufnahme. Entscheidend ist stets die konkrete Güterabwägung. Besonders bei Beweisnot oder wenn der Betroffene nachträglich zustimmt, kann eine Verwertung zulässig sein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich mehrfach zu diesem Thema geäußert.

Heimliche Tonaufnahmen beim BVerfG

Das Urteil des LG Heidelberg zur Verwertbarkeit heimlicher Tonaufnahmen zeigt eine moderne Rechtsentwicklung, die auf den Grundlagen des BVerfG-Urteils von 1973 basiert. Damals stellte das BVerfG (Beschluss vom 31. Januar 1973 – 2 BvR 454/71) Maßstäbe für die Zulässigkeit der Verwertung heimlich erstellter Aufnahmen auf. Diese Prinzipien haben sich in der aktuellen Rechtsprechung weiterentwickelt.

Das BVerfG entschied 1973, dass das Recht am gesprochenen Wort Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ist. Jeder habe das Recht, zu bestimmen, wer seine Worte aufzeichnen darf. Dieser Schutz sei jedoch nicht absolut, und in Ausnahmefällen, wenn das Interesse der Allgemeinheit überwiegt, könne das Recht zurücktreten.

In einer neueren Entscheidung von 2020 (1 BvR 495/19) bestätigte das BVerfG, dass heimliche Aufnahmen zwar grundsätzlich das Persönlichkeitsrecht verletzen, jedoch eine Einzelfallabwägung erforderlich sei. In diesem Fall waren Gespräche während einer Sitzungspause heimlich aufgenommen worden, um ein Befangenheitsgesuch gegen Richter zu begründen. Das BVerfG stellte fest, dass das Landgericht die Bedeutung des Rechts auf den gesetzlichen Richter verkannt habe.

Fazit: Verwertbarkeit von heimlichen Tonaufnahmen

Die Entscheidung des LG Heidelberg zeigt, dass heimliche Tonaufnahmen nicht pauschal als unverwertbar gelten. Auch bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts und einem Verstoß gegen § 201 StGB kann eine Abwägung der Interessen zugunsten des Beweisführers ausgehen, insbesondere wenn der Betroffene nachträglich zustimmt. Die grundlegenden Prinzipien des BVerfG von 1973 bleiben dabei relevant.

Die zentrale Frage bleibt die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und der Wahrheitsfindung. Während das BVerfG staatliche Eingriffe klar begrenzt hat, entwickelten Gerichte diese Linie weiter, indem sie die Verwertbarkeit anhand von Faktoren wie Beweisnot, konkludenter Einwilligung und den konkreten Umständen des Falls beurteilten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)
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Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)

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