Europäische e-Evidence-Verordnung (auch: Europäische Herausgabeanordnung): Die EU hat Schritte zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Zugangs zu elektronischen Beweismitteln unternommen, indem sie die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schafft, dass gerichtliche Anordnungen direkt an Diensteanbieter in anderen Mitgliedstaaten gerichtet werden können.
Europäische e-Evidence-Verordnung
Die im Jahr 2023 von der Europäischen Union verabschiedete eEvidence-Verordnung (EU) 2023/1543 stellt einen wichtigen Schritt zur Modernisierung grenzüberschreitender strafrechtlicher Ermittlungen dar, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu digitalen Beweismitteln.
Was ist die e-Evidence-Verordnung?
Die Verordnung schafft einen Rechtsrahmen, der es den Strafverfolgungsbehörden eines EU-Mitgliedstaats ermöglicht, elektronische Beweismittel wie E-Mails, SMS oder Online-Dokumente direkt bei Diensteanbietern in anderen Mitgliedstaaten anzufordern. Diese Anfragen können ohne die bisher erforderliche Zustimmung der Behörden des Landes gestellt werden, in dem der Diensteanbieter ansässig ist.
Wichtige Aspekte der e-Evidence-Verordnung
- Effizienz: Die Verordnung zielt darauf ab, das Verfahren zur Erlangung elektronischer Beweismittel zu beschleunigen. Dies ist besonders wichtig in Fällen, in denen ein schneller Zugang zu solchen Daten entscheidend sein kann.
- Direkte Zusammenarbeit: Die Strafverfolgungsbehörden können direkt mit den Diensteanbietern in Kontakt treten, anstatt sich auf den langsameren traditionellen Rechtshilfeweg zu verlassen.
- Sicherheitsmaßnahmen: Es gibt klare Regeln und Verfahren, die sicherstellen, dass die Grundrechte, einschließlich des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre, gewahrt werden.
- Anwendungsbereich: Die Verordnung gilt für eine Vielzahl von Diensten, einschließlich sozialer Netzwerke und Cloud-Dienste.
e-Evidence-Verordnung auf einen Blick
Die neue eEvidence-Verordnung, die im August 2023 in Kraft getreten ist, soll den grenzüberschreitenden Zugang zu elektronischen Beweismitteln innerhalb der EU erleichtern. Sie ermöglicht es Justizbehörden eines EU-Mitgliedstaates, direkt gegenüber einem Dienstanbieter in einem anderen Mitgliedstaat die Herausgabe oder Sicherstellung elektronischer Beweismittel anzuordnen, unabhängig davon, wo die Daten gespeichert sind. Diese Regelung markiert einen Wechsel von einem bilateralen zu einem „unilateral-transnationalen“ Modell der Beweiserhebung.
Kernstücke der Verordnung sind die Europäische Herausgabeanordnung (European Production Order, EPO) und die Europäische Sicherungsanordnung (European Preservation Order, EPO-PR). Diese Instrumente erlauben es den Justizbehörden, sich direkt an die Anbieter von Diensten zu wenden, um Beweise zu sichern oder herauszugeben. Während die EPO-PR nur der Sicherung von Daten dient, umfasst die EPO die Sicherung und Herausgabe der Daten.
Die Verordnung enthält detaillierte Regelungen zu den Anordnungsvoraussetzungen, zur Unterrichtung der Vollstreckungsbehörde und zu den Rechten der Betroffenen. Es gibt jedoch auch Kritikpunkte, insbesondere in Bezug auf den Grundrechtsschutz und die mangelnde Beteiligung der Vollstreckungsbehörde in bestimmten Fällen. Zudem wird bemängelt, dass es keine strengen Anordnungsvoraussetzungen gibt, die den Grundrechtsschutz kompensieren könnten, wenn keine Unterrichtung der Vollstreckungsbehörde erfolgt.
Die Verordnung sieht vor, dass betroffene Personen grundsätzlich über die Herausgabe ihrer Daten informiert werden müssen und dass ihnen effektive Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Dienstanbieter können gegen Sanktionsbeschlüsse Rechtsmittel einlegen und müssen im Falle von Konflikten mit dem Recht eines Drittstaates die Behörden informieren.
Bedeutung für grenzüberschreitende Ermittlungen
Für Polizeibehörden bedeutet die Verordnung eine erhebliche Verbesserung der Effizienz und Effektivität bei grenzüberschreitenden Ermittlungen. Sie können nun schneller auf kritische Daten zugreifen, was insbesondere bei Straftaten wie Terrorismus, Menschenhandel oder schweren Betrugsdelikten von großer Bedeutung ist. Gleichzeitig stellt die Verordnung sicher, dass dieser Prozess unter strengen Sicherheitsvorkehrungen abläuft, um Missbrauch zu verhindern und die Rechte der Bürger zu schützen.
Diese Verordnung ist nur ein Teil eines Pakets, das die Kommission im April 2018 vorgelegt hat und das auch eine Richtlinie zur Festlegung einheitlicher Regeln für die Bestellung von Vertretern zum Zwecke der Beweiserhebung in Strafverfahren umfasst. Mit dieser Richtlinie soll der Zugang zu außereuropäischen Anbietern sichergestellt werden, indem diese verpflichtet werden, verantwortliche Vertreter in der EU zu bestellen, wenn sie digitale Angebote für die EU bereitstellen oder solche Angebote auf die EU ausrichten.
Die Stellvertreter Richtlinie
Die Richtlinie (EU) 2023/1544 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2023 spielt eine zentrale Rolle im Rahmen der EU-Initiativen zur Erleichterung der Erhebung elektronischer Beweismittel in Strafverfahren. Diese Richtlinie etabliert einheitliche Regeln für die Benennung von benannten Niederlassungen und die Bestellung von Vertretern, die in der EU tätig sind. Ihr Hauptziel ist es, einen klaren und effizienten rechtlichen Rahmen für die Sammlung elektronischer Beweise durch Strafverfolgungsbehörden zu schaffen.
Kernpunkte dieser Richtlinie sind:
- Benannte Niederlassungen: Sie legt fest, wie Unternehmen, die elektronische Dienste anbieten, Niederlassungen in der EU benennen müssen. Diese Niederlassungen dienen als Kontaktstellen für Strafverfolgungsbehörden.
- Bestellung von Vertretern: Die Richtlinie regelt die Bestellung von Vertretern für diese Niederlassungen. Diese Vertreter sind für die Bearbeitung von Anfragen der Strafverfolgungsbehörden zur Herausgabe elektronischer Beweismittel verantwortlich.
- Zweck der Erhebung elektronischer Beweismittel: Sie zielt darauf ab, den Prozess der Beschaffung elektronischer Beweismittel zu standardisieren und zu beschleunigen, insbesondere im Kontext grenzüberschreitender Fälle.
Wichtige Aspekte der Einigung
Die Verordnung sieht die Einführung eines Mechanismus vor, der eine Alternative zu den vorhandenen Instrumenten für die internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe bietet. Insbesondere sollen die Probleme gelöst werden, die durch die Volatilität elektronischer Beweismittel und das Phänomen des „Standortverlusts“ entstehen, indem neue Verfahren für einen raschen, effizienten und wirksamen grenzüberschreitendem Zugang eingeführt werden.
Hauptbestandteile der Neuregelung:
- Es werden Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen eingeführt, mit denen elektronische Beweismittel eingeholt und gesichert werden können, unabhängig davon, wo sich die Daten befinden.
- Die Anordnungen können alle Datenkategorien – Teilnehmerdaten, Zugangsdaten, Transaktionsdaten und Inhaltsdaten – betreffen, wobei Transaktions- und Inhaltsdaten nur bei Straftaten, die im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren geahndet werden, oder bei Cyber-Straftaten und Straftaten mit terroristischem Hintergrund angefordert werden dürfen.
- Die angeforderten Daten dürfen nur für die Zwecke verwendet werden, für die sie eingeholt wurden, es sei denn, es gilt, eine unmittelbare und schwere Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder der grundlegenden Interessen des Anordnungsstaats abzuwenden, oder sie werden für Verfahren verwendet, für die eine Herausgabeanordnung hätte erlassen werden können.
- Es gilt eine verbindliche Frist von zehn Tagen für die Ausführung einer Herausgabeanordnung. In hinreichend begründeten Notfällen kann diese Frist auf sechs Stunden verkürzt werden. Überdies können Anordnungen in Bezug auf Teilnehmer- und Zugangsdaten unter bestimmten Voraussetzungen ohne eine vorherige Validierung durch die zuständige Justizbehörde erlassen werden. In diesen Fällen muss so rasch wie möglich, spätestens jedoch binnen 48 Stunden, eine Ex-post-Validierung angefordert werden.
- Gegen Dienstanbieter können Sanktionen verhängt werden, wenn sie einer Anordnung nicht nachkommen. So können ihnen finanzielle Sanktionen in Höhe von bis zu 2 % ihres im vorhergehenden Geschäftsjahr weltweit erzielten Jahresgesamtumsatzes auferlegt werden.
- Zudem wird ein Notifizierungssystem für Inhaltsdaten für die Fälle eingeführt, in denen die Anordnungsbehörde annimmt, dass die Person, deren Daten angefordert werden, ihren Wohnsitz in einem anderen Hoheitsgebiet hat. Mit der Notifizierung wird der Vollstreckungsstaat informiert und kann gegebenenfalls darauf hinweisen, dass die angeforderten Daten durch Immunitäten und Vorrechte oder durch Vorschriften zur Bestimmung und Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Meinungsfreiheit/Pressefreiheit geschützt sind oder dass die Offenlegung der betreffenden Daten seine grundlegenden Interessen beeinträchtigen würde. Die Anordnungsbehörde berücksichtigt diese Umstände und passt die Anordnung entsprechend an oder erlässt sie nicht. Die Notifizierung hat keine aufschiebende Wirkung.
Kritikpunkte
Eine kritische Analyse des neuen eEvidence-Gesetzespakets hebt mehrere problematische Aspekte hervor:
- Grundrechtsschutz und Souveränität: Ein zentraler Kritikpunkt ist der unzureichende Grundrechtsschutz, insbesondere in Fällen, in denen die Vollstreckungsbehörde eines anderen Mitgliedstaats nicht informiert wird. Die Verordnung sieht keine umfassende Beteiligung der Vollstreckungsbehörde vor, was zu einer Schwächung des territorialen Souveränitätsprinzips und damit des Grundrechtsschutzes führen könnte.
- Lücken im Unterrichtungsmechanismus: Die Verordnung weist erhebliche Lücken im Mechanismus zur Unterrichtung der Vollstreckungsbehörde auf. In vielen Fällen erfolgt keine Unterrichtung, was bedeutet, dass die Grundrechte der Betroffenen nicht ausreichend geschützt sind, insbesondere in Bezug auf die Sicherstellung und Herausgabe von Daten ohne gerichtliche Überprüfung im Vollstreckungsstaat.
- Fehlende strenge Anordnungsvoraussetzungen: Es wird kritisiert, dass die Verordnung kein Rangverhältnis zwischen der Herausgabe- und der Sicherstellungsanordnung vorsieht. Dies könnte dazu führen, dass die Herausgabe von Daten zu schnell angeordnet wird, ohne dass zuvor eine Sicherstellungsanordnung erfolgt. Die Verordnung enthält keine qualifizierten Anordnungsvoraussetzungen, die den Grundrechtsschutz in Fällen kompensieren könnten, in denen keine Unterrichtung der Vollstreckungsbehörde stattfindet.
- Eingriffsintensität: Obwohl die EPO (European Production Order) in ihrer Eingriffsintensität höher ist, müssen keine strengeren Anordnungsvoraussetzungen erfüllt werden als bei der EPO-PR (European Preservation Order). Dies wird als problematisch angesehen, da die EPO unmittelbar zu einer stärkeren Beeinträchtigung der Rechte der Betroffenen führen kann.
- Mangelnde Regelung für die Verwendung der gesammelten Daten: Es gibt keine klaren Regelungen darüber, wie die gesammelten Daten verwendet werden dürfen, insbesondere wenn sie besonders sensible Informationen enthalten, die durch Immunitäten oder besondere Geheimhaltungsrechte geschützt sind.
- Konflikte mit Drittstaaten-Recht: Dienstanbieter könnten in Konflikt mit den Gesetzen von Drittstaaten geraten, wenn sie den Anforderungen der eEvidence-Verordnung nachkommen. Die Verordnung sieht zwar einen Mechanismus zur Information der Anordnungsbehörde vor, aber die Rechtsunsicherheit bleibt bestehen.
Diese spezifischen, kritischen Punkte deuten auf mögliche Spannungen zwischen dem Ziel einer effizienteren Strafverfolgung in der EU und dem Schutz der Grundrechte der Betroffenen hin.
Umsetzung der e-Evidence-Verordnung
Die Umsetzung ist inzwischen erfolgt, es gibt eine 3-jährige Übergangsfrist, sodass ab dem 18.08.2026 diese Rechtslage in der EU zu berücksichtigen ist.
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