Der Bundesgerichtshof (III ZR 195/20) konnte sich zu den Hinweispflichten im Rahmen des Zivilprozesses äußern: Möchte ein Gericht von ihm dem Internet entnommene Tatsachen als offenkundig im Sinne des § 291 ZPO seinem Urteil zugrunde legen, muss es den Parteien durch einen Hinweis die Möglichkeit zur Stellungnahme geben.
Dieser Hinweis ist auch von Bedeutung, denn es ist davon auszugehen, dass das Gericht eine offenkundige Tatsache entsprechend §291 ZPO auch ohne entsprechende Behauptung durch die Parteien in den Prozess einführen und seiner Entscheidung zugrunde legen darf (dazu OLG Zweibrücken, 3 W 147/13).
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Hinweispflicht bei dem Internet entnommenen Tatsachen
Die Hinweispflicht ergibt sich vor dem Hintergrund des Verbots einer Überraschungsentscheidung entsprechend §139 II ZPO. Ein Hinweis kann mit dem BGH nur dann unterbleiben, wenn es sich um Umstände handelt, die den Parteien ohne Weiteres gegenwärtig sind und von deren Entscheidungserheblichkeit sie wissen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (…) darf ein Gericht seiner Entscheidung keine Tatsachen zugrunde legen, ohne den Parteien vorher Gelegenheit zu geben, sich zu ihnen zu äußern (…)
Zu diesen gehören auch solche, die das Gericht dem Internet entnommen hat; will es diese zur Grundlage seines Urteils machen, muss es das Ergebnis seiner Ermittlungen den Parteien zugänglich machen und ihnen durch einen Hinweis (…) die Möglichkeit zur Stellungnahme geben (…) Ein Hinweis kann nur dann unterbleiben, wenn es sich um Umstände handelt, die den Parteien ohne Weiteres gegenwärtig sind und von deren Entscheidungserheblichkeit sie wissen (…)
Die Entscheidung ist richtig und wichtig – hier wird nur der seit Jahrzehnten gefestigte verfassungsrechtliche Grundsatz, dass man vor überraschenden Entscheidungen geschützt sein muss, konsequent fortentwickelt. Schon früher wurde dabei die Internetrecherche etwa bei der Schadensschätzung als zulässig erachtet.
Für den Strafprozess ist dies allerdings ohne gravierende weitere Auswirkungen: Da im Strafprozess die Entscheidung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen ist (siehe §261 StPO) kann ein Gericht nahezu unmöglich im Urteil plötzlich überraschend mit Erkenntnissen um die Ecke kommen. Sollte tatsächlich überraschend auf diesem Wege eine Entscheidung im Raum stehen, weil das Gericht für sich Kenntnisse erlangt hat, die für die Verteidigung überraschend sind, würde der verfassungsrechtlich gebotene Schutz vor überraschenden Entscheidungen dann auch hier eingreifen und es wäre über die Thematisierung in der Hauptverhandlung hinaus ein gerichtlicher Hinweis auf Grund allgemeiner Hinweispflicht nach §265 StPO zu erteilen (insoweit sinngemäß MüKo, §265 Stpo, Rn.60).
Internetrecherche als Gerichtsbekannt
Eine Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn die entsprechenden Tatsachen bei Gericht allgemeinkundig oder gerichtskundig sind Dabei dürften inzwischen die durch eine Internetrecherche zu erlangenden Daten als allgemeinkundig und damit dem Gericht bekannt einzustufen sein (dazu zusammenfassend Windau bereits in NJOZ 2018, 761). Insbesondere bestehen obergerichtlich keinerlei Bedenken, wenn das Gericht von sich aus auf Wikipedia zurückgreift.
Der BGH führte nunmehr auch aus, dass es keiner Fachkunde bedarf, um Webseite (wie hier das Registerportal der Länder) zu bedienen:
Zwar ist nach den tatrichterlichen Feststellungen für die Einsicht in das Register über das Gemeinsame Registerportal der Länder ein Grundverständnis über den Aufbau und die Funktionsweise der Webseite sowie die damit verbundenen Recherchemöglichkeiten erforderlich.
Es ist indessen weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Erlernung der Nutzung des Registerportals zu Informationszwecken für einen verständigen Teilnehmer des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden ist oder besonderen Sachverstand voraussetzt. Ein solches Verständnis wäre nicht nur unzeitgemäß, weil es im Widerspruch zum hohen Verbreitungsgrad des Internets als einem zentralen Informations- und Kommunikationsmedium in allen Lebensbereichen stünde, sondern es widerspräche auch der erklärten Vorstellung des Gesetzgebers, der davon ausgegangen ist, dass die elektronische Handelsregisterführung die freie Zugänglichkeit der Eintragungen für jedermann und von überall her online ermöglicht (vgl. BT-Drucks. 16/960, S. 34, 44).
BGH, VII ZB 69/21
Prozessanwälten sei insoweit empfohlen, proaktiv und frühzeitig das Gericht an seine Hinweispflicht zu erinnern, wenn man nicht plötzlich überrumpelt werden möchte.
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