Beim Bundesgerichtshof ging es um eine spezielle Frage zum Umgang mit digitalen Beweismitteln. Dabei ging es um ein Video, dass in einer strafrechtlichen Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurde. Dies in der Form, dass das Gericht einzelne Sequenzen zum Teil verlangsamte oder auch vergrößert abspielte. Auch wurde bei
einem Einzelbild angehalten. Die Verteidigung rügte nun, dass man die entsprechenden Sequenzen oder Einzelbilder nicht zuvor im Rahmen der Akteneinsicht erhalten habe, dazu berief man sich auf frühere Rechtsprechung des BGH.
Kein neues Beweismittel
Der BGH betont, dass durch diese Vorgehensweise in der Hauptverhandlung keine „neuen Beweismittel“ geschaffen wurden, sondern nur genutzt wurde, was ja eh schon da war:
Hier wurden in der Hauptverhandlung nur die vorhandenen Beweismittel, die Videoaufzeichnungen – teilweise mit technischer Unterstützung etwa in Zeitlupe oder mittels einer computergestützten Vergrößerung – in Augenschein genommen.
Dadurch wurden indes keine anderen oder neue Beweismittel geschaffen. Dies erhellt schon ein Vergleich mit der entsprechenden Situation bei der Inaugenscheinnahme analoger Fotografien, Urkunden oder Filmaufnahmen: Würde bei deren Inaugenscheinnahme in der Hauptverhandlung etwa eine Lupe verwendet oder der Filmprojektor mechanisch verlangsamt, würde dies die Identität des Beweismittels auch nicht verändern. Nichts anderes ergibt sich aus dem zitierten
BGH, 5 StR 115/21
Urteil des 2. Strafsenats, in dem davon ausgegangen wird, dass auch die verlangsamte Inaugenscheinnahme eines Films immer noch die Inaugenscheinnahme des nämlichen Beweismittels darstellt
Abgrenzung zu vorbereitendem Sachverständigenbeweis
Leider verkennt der BGH die Brisanz hinter dieser Thematik, wenn er viel zu kurz ausführt, warum dies nicht vergleichbar war mit der von der Verteidigung heran gezogenen Rechtsprechung des BGH:
Die von der Verteidigung für ihre Gegenauffassung zitierte Entscheidung (…) 2 StR 557/04 … ist nicht einschlägig: In jenem Verfahren hatte die Verteidigung beantragt, die 1.800 Einzelbilder einer bereits in der Hauptverhandlung in Zeitlupe in Augenschein genommenen Videosequenz (36 Sekunden bei 50 Bildern pro Sekunde) auszudrucken und technisch aufbereitet und vergrößert in Augenschein zu nehmen, weil man auf den Bildern dann erkennen werde, dass andere Männer als der Angeklagte Messer in der Hand hielten. Der 2. Strafsenat hat entschieden, dass das in jenem Verfahren befasste Landgericht den Antrag nicht mit der Begründung hätte zurückweisen dürfen, er ziele auf eine Wiederholung der Beweisaufnahme ab. Denn bei der Inaugenscheinnahme von (vergrößerten) Einzelbildern und einem gegebenenfalls auch in Zeitlupe abgespielten Film handele es sich nicht um identische Beweismittel (…
Wenn man sich nur diese Zeilen ansieht, fragt man sich durchaus, warum dies nicht vergleichbar sein soll – die Verteidigung hätte mit diesen Ausführungen vollkommen zu Recht auf die damalige Entscheidung verwiesen. Erst der Blick in die damalige Entscheidung des BGH macht überdeutlich, dass man tatsächlich damals etwas anderes behandelt hatte. Der damalige Antrag der Verteidigung richtete sich wörtlich darauf,
„die entsprechenden Einzelbilder, auf denen die beiden Personen mit dem glänzenden Gegenstand in der Hand zu sehen sind, technisch aufzubereiten und zu vergrößern, damit die Hand mit dem Gegenstand deutlich und größer zu sehen ist“.
Mit einem solchen Wortlaut zielte der (etwas unglücklich formulierte) Antrag darauf, dass eine vorbereitende sachverständige Bearbeitung der Beweismittel ermöglicht wird! Er machte insoweit – für den BGH damals unmissverständlich – deutlich, dass der Beweisantrag auf die Inaugenscheinnahme von Standbildern – sei es als Papierausdrucke, sei es durch Darstellung am Bildschirm oder durch Projektion – gerichtet war und damit auf die Heranziehung und Verwendung eines qualitativ ganz anderen Beweismittels gerichtet wurde.
Das macht dann auch den Unterschied aus zwischen den beiden Fällen: Nicht die Verlangsamung oder Vergrößerung in der Hauptverhandlung eröffnet (den Zugang zu) neue(n) Beweismittel(n). Die Verteidigung muss vielmehr aktiv werden und selber abwägen, ob es geboten ist, ein neues Beweismittel etwa durch Ausdruck zu schaffen, weil sich etwas schuldrelevantes ergibt, das gesondert einer Beweiswürdigung zu unterwerfen ist.
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