Prozessrecht: Befangenheit des Sachverständigen

Wann ist ein Sachverständiger im IT-Prozess bzw. Zivilprozess befangen? Die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit ist prozessual nicht leicht zu bewerkstelligen. Grundsätzlich gilt, dass ein Sachverständiger entsprechend § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

Bei ungünstigen Gutachten gehen die Betroffenen dabei gerne (vorschnell) von einem solchen Misstrauen aus. Es gilt aber, dass es sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln muss, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

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Befangenheit des Sachverständigen

Ausschlaggebend sind immer die Umstände des Einzelfalls, sodass auch das gesamte Verhalten des Sachverständigen eine parteiliche Tendenz zugunsten oder zulasten einer Partei erkennen lassen muss.

Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Entscheidend ist, ob objektive Gründe vorliegen, die einer besonnenen und vernünftig denkenden Partei Anlass geben können, an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Sachverständigen zu zweifeln. Darauf, ob der gerichtliche Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich befangen fühlt, kommt es nicht an (zu alledem BGH, X ZR 178/01, X ZR 103/04, X ZR 148/11 und zusammenfassend Oberlandesgericht Düsseldorf, 15 U 83/19).

Die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit des Sachverständigen kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige den Gutachterauftrag in einer Weise erledigt, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden kann – eine derart unsachliche Grundhaltung kann sich beispielsweise ergeben aus

  • überflüssigen und unangemessenen, tendenziell ehrverletzenden, herabwürdigenden und abfälligen Äußerungen;
  • wertenden Formulierungen, die den Eindruck erwecken oder verstärken, der Sachverständige empfinde sich als Gegner einer Partei;
  • sprachlichen Entgleisungen des Sachverständigen;
  • überschreiten des Gutachtenauftrags, beispielsweise indem er eine dem Gericht vorbehaltene Beweiswürdigung vorgenommen und seiner Beurteilung nicht die vorgegebenen Anknüpfungstatsachen zu Grunde gelegt hat oder wenn er das Vorbringen der Parteien auf Schlüssigkeit und Erheblichkeit untersucht hat, statt die ihm abstrakt gestellte Beweisfrage zu beantworten;

Ob Äußerungen eines Sachverständigen als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung verstanden werden können, ist nicht nur anhand einer (isolierten) Betrachtung der einzelnen Äußerungen zu eruieren, sondern immer aus einer Gesamtbetrachtung.

Überschreiten des Gutachtenauftrags

Grundsätzlich kann eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen gegeben sein (§ 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO), wenn der Sachverständige seinen Gutachtenauftrag überschreitet.

Die Frage, ob die Überschreitung eines Gutachterauftrags geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, kann allerdings ebenfalls nicht schematisch beantwortet werden. Maßgeblich sind vielmehr auch insoweit die Umstände des jeweiligen Einzelfalls, wobei die Überschreitung des Gutachtenauftrages für sich genommen in der Regel nicht ausreicht, sondern zudem das sonstige Verhalten des Sachverständigen eine parteiliche Tendenz zugunsten oder zulasten einer Partei erkennen lassen muss.

Die Besorgnis der Befangenheit ist deshalb beispielsweise zu verneinen, wenn die Überschreitung des Gutachtenauftrags lediglich auf einem Missverständnis beruht oder mit der Beantwortung der Beweisfragen aus Sicht einer verständigen Partei bereits eine offensichtliche und damit ohne Weiteres erkennbare Überschreitung des Beweisthemas durch den Sachverständigen einhergeht.

Mangel an Sachkunde

Ein Mangel an Sachkunde und Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeiten mögen zwar das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich allein, aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit.

Befangenheit wegen privatgutachterlicher Tätigkeit

Mit der Rechtsprechung liegt ein Ablehnungsgrund in der Regel jedenfalls dann vor, wenn der Sachverständige in derselben Sache für eine Prozesspartei oder deren Versicherer bereits ein Privatgutachten erstattet hat. Doch der BGH (VI ZB 31/16) hat dies nunmehr weiter gefasst und festgestellt, dass schon die entgeltliche Befassung mit der Fragestellung insgesamt ein hinreichender Grund ist:

Ein Sachverständiger kann wegen Besorgnis der Befangenheit auch dann abgelehnt werden, wenn er für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einer gleichartigen Fragestellung in einem gleichartigen Sachverhalt erstattet hat und wenn die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren.

Während bei konkreten Begutachtungen, etwa bei der konkreten Bewertung einer einzelnen Bausache hinsichtlich individueller Mängel, kaum Rückschlüsse denkbar erscheinen, sind bei allgemeinen Fragestellungen oder zu verallgemeinernden Sachverhalten durchaus Ansätze auszumachen. Es ist damit zu rechnen, dass insoweit Parteien zukünftig erhebliche Energie in die Historie von Sachverständigen investieren werden.

Weiter führt der Bundesgerichtshof aus, dass zwar keine grundsätzlichen Bedenken alleine wegen der entgeltlichen Tätigkeit bestehen. Er macht aber auch deutlich – und dies mit überraschend klaren Worten – dass entgeltliche Gutachten einer recht klaren Skepsis unterliegen, da hier immer mit Einwendungen des Auftraggebers bei unerwünschten Ergebnissen zu rechnen ist.

Klare Worte, die sich zu zitieren bei Privatgutachten durchaus anbietet:

Zwar hat ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger auch Privatgutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Trotz dieser objektiven Pflichtenlage ist vom Standpunkt des Ablehnenden die Befürchtung, der Gutachter könnte sich jedenfalls in Zweifelsfällen und auf der Grundlage der Angaben seines Auftraggebers für ein diesem günstiges Ergebnis entscheiden, nicht als unvernünftig von der Hand zu weisen.

Dass Zweifelsfälle bei der Begutachtung von Medizinprodukten gänzlich ausgeschlossen sind, ist unabhängig von der vom Beschwerdegericht aufgeworfenen Frage, wie ausgeprägt hier die Beurteilungs- und Ermessenspielräume sind, nicht anzunehmen.

Vor allem aber steht auch bei vernünftiger Betrachtung aus Sicht des Ablehnenden die Befürchtung im Raum, der Sachverständige werde nicht geneigt sein, bei der gerichtlich angeordneten Begutachtung von seinem früheren Privatgutachten abzuweichen oder sich gar in Widerspruch zu diesem zu setzen. Zwar kann von einem Sachverständigen erwartet werden, dass er bereit ist, seine zuvor gewonnene Überzeugung zu überprüfen und, wenn nötig, zu korrigieren. Aus diesem Grund ist die Ablehnung eines gerichtlich beauftragten Sachverständigen, der in einem anderen Verfahren ebenfalls als Gerichtssachverständiger ein Gutachten erstattet hat, nicht gerechtfertigt (…)

Anders als im Falle seiner gerichtlichen Beauftragung ist der Sachverständige aber im Falle seiner Beauftragung mit einem Privatgutachten mit einer der an der jeweiligen Streitigkeit beteiligten Personen vertraglich verbunden. Beurteilt er den Sachverhalt, der Gegenstand des Privatgutachtens war, später anders, so setzt er sich möglicherweise dem – gleich ob berechtigten oder unberechtigten – Vorwurf seines Auftraggebers aus, das Privatgutachten nicht ordnungsgemäß erstattet oder sonstige vertragliche Pflichten verletzt zu haben.

Diesem Vorwurf seines Auftraggebers kann er sich auch dann ausgesetzt sehen, wenn an der Streitigkeit, in der er später als Gerichtssachverständiger tätig wird, andere Personen beteiligt sind, es aber um einen gleichartigen Sachverhalt und eine gleichartige Fragestellung geht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren. Die Möglichkeit eines Konflikts des Sachverständigen zwischen Rücksichtnahme auf den früheren Auftraggeber und der Pflicht zu einer von der früheren Begutachtung losgelösten, objektiven Gutachtenerstattung im Auftrag des Gerichts ist geeignet, das Vertrauen des Ablehnenden in eine unvoreingenommenen Gutachtenerstattung zu beeinträchtigen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)
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