Quick-Freeze: Gesetzentwurf 2024

Mit der Einführung des Quick-Freeze-Verfahrens reagiert Deutschland auf die rechtlichen und praktischen Herausforderungen, die durch die Unvereinbarkeit der allgemeinen Vorratsdatenspeicherung mit europäischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben entstanden sind. Dieses neue Instrument soll es Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, digitale Beweismittel rechtzeitig und rechtssicher zu sichern, während gleichzeitig die Grundrechte der Bürger gewahrt bleiben.

Hintergrund des Quick-Freeze-Verfahrens

Seit mehr als 14 Jahren gibt es in Deutschland keine aktive Vorratsdatenspeicherung mehr, nachdem sowohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) wiederholt entschieden haben, dass eine flächendeckende und anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten gegen Grundrechte verstößt. Die ursprünglichen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung, etwa im Telekommunikationsgesetz (TKG) und der Strafprozessordnung (StPO), wurden für nichtig erklärt.

Im EuGH-Urteil vom 20. September 2022 wurde festgestellt, dass die 2015 in Deutschland eingeführte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Dies betrifft insbesondere die Vorgabe, dass Verkehrsdaten nahezu aller Nutzer anlasslos gespeichert wurden. Die aktuelle Rechtsprechung lässt nur Ausnahmen zu, die sich auf spezifische Fälle wie den Schutz der nationalen Sicherheit beschränken. Ein allgemeiner Zugriff auf alle Verkehrsdaten ist nach der Entscheidung unzulässig.

Da digitale Spuren jedoch eine immer wichtigere Rolle in der Strafverfolgung spielen, insbesondere bei schweren Straftaten wie Terrorismus, organisiertem Verbrechen oder Kindesmissbrauch, entstand die Notwendigkeit, ein neues, unionsrechtskonformes Verfahren zur Datensicherung einzuführen. Das Quick-Freeze-Verfahren wurde genau zu diesem Zweck konzipiert.

Anpassung der Gesetze

Mit dem Referentenentwurf zur Einführung des Quick-Freeze-Verfahrens werden mehrere Gesetze geändert, um dieses neue Ermittlungsinstrument zu implementieren. Kern der Änderungen ist die Anpassung des § 100g StPO, der künftig nicht nur die Erhebung von Verkehrsdaten regelt, sondern auch die neue Möglichkeit der Sicherungsanordnung („Einfrieren“ von Daten).

  • § 100g StPO wird dahingehend erweitert, dass die Sicherungsanordnung zur Speicherung von bereits existierenden und zukünftig anfallenden Verkehrsdaten bei Telekommunikationsanbietern eingeführt wird. Diese Daten dürfen nur gesichert werden, wenn der Verdacht auf eine erhebliche Straftat besteht und die Daten für die Aufklärung relevant sein könnten.
  • Das Telekommunikationsgesetz (TKG) wird ebenfalls angepasst. Der neu eingeführte § 174a TKG verpflichtet Telekommunikationsanbieter zur unverzüglichen Sicherung von Verkehrsdaten auf Anordnung der Behörden. Diese Speicherung darf jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum erfolgen, und Inhalte der Kommunikation (z.B. Gesprächsinhalte) sind von der Speicherung explizit ausgenommen.
  • Weitere Änderungen betreffen das Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz (TDDDG) sowie die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV), um die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Quick-Freeze-Verfahrens zu schaffen.

Funktionsweise des Quick-Freeze-Verfahrens

Das Quick-Freeze-Verfahren verläuft in zwei Stufen:

  1. Einfrieren der Daten: Sobald der Verdacht auf eine erhebliche Straftat besteht, können die Ermittlungsbehörden eine gerichtliche Anordnung zur Sicherung relevanter Verkehrsdaten beantragen. Diese Daten werden von den Telekommunikationsanbietern „eingefroren“, d.h., sie dürfen nicht gelöscht werden, bis eine Entscheidung über deren weitere Verwendung getroffen wurde. In dieser Phase wird noch nicht geprüft, ob die Daten tatsächlich benötigt werden.
  2. Auftauen der Daten: Sollte sich der Verdacht im Laufe der Ermittlungen konkretisieren, können die Strafverfolgungsbehörden eine weitere richterliche Anordnung beantragen, um die gesicherten Daten auszuwerten. Erst nach dieser richterlichen Überprüfung dürfen die Daten den Ermittlungsbehörden übermittelt und verwendet werden.

Diese zweistufige Herangehensweise soll die Wahrung der Grundrechte gewährleisten. Der Zugriff auf Verkehrsdaten erfolgt nur unter strengster Kontrolle, und die Daten dürfen nur dann verwendet werden, wenn sie tatsächlich für die Aufklärung der Straftat notwendig sind.

Warum das Quick-Freeze-Verfahren notwendig ist

Verkehrsdaten spielen in vielen Ermittlungsverfahren eine zentrale Rolle, insbesondere bei der Verfolgung schwerer Straftaten wie Kindesmissbrauch, Terrorismus, Menschenhandel oder organisierter Kriminalität. In der digitalen Welt sind diese Daten oft die einzigen Spuren, die Hinweise auf Täter oder Opfer geben können. Während eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung rechtlich nicht mehr zulässig ist, ermöglicht das Quick-Freeze-Verfahren eine gezielte und zeitlich begrenzte Sicherung von Daten, sobald ein konkreter Verdacht besteht.

Ein entscheidender Vorteil des Quick-Freeze-Verfahrens ist die Möglichkeit, bereits in einem frühen Ermittlungsstadium Daten zu sichern. Dies kann besonders wichtig sein, da Telekommunikationsanbieter Verkehrsdaten in der Regel nur für wenige Tage speichern. Mit dem neuen Verfahren können diese Daten schnell und rechtssicher „eingefroren“ werden, bevor sie verloren gehen.

Quick-Freeze vs. Vorratsdatenspeicherung

Der wesentliche Unterschied zur Vorratsdatenspeicherung besteht darin, dass beim Quick-Freeze-Verfahren keine flächendeckende Speicherung der Daten aller Bürger erfolgt. Stattdessen wird die Speicherung nur dann vorgenommen, wenn ein konkreter Verdacht auf eine schwere Straftat besteht. Es gibt also keine anlasslose Speicherung, was das Verfahren deutlich grundrechtsschonender macht.

Darüber hinaus sind die Hürden für das Einfrieren von Daten bewusst niedrig gesetzt, um den Ermittlungsbehörden einen schnellen Zugriff zu ermöglichen, wenn es notwendig ist. Dies geschieht jedoch stets unter gerichtlicher Kontrolle, sodass der Schutz der Grundrechte sichergestellt bleibt.

Fazit

Das Quick-Freeze-Verfahren stellt einen neuartigen Ansatz dar, um digitale Beweismittel in Strafverfahren zu sichern – angeblich ohne die Rechte der Bürger unverhältnismäßig zu beeinträchtigen. Durch die gezielte Speicherung von Verkehrsdaten und die klare rechtliche Grundlage wird ein dringend benötigtes Ermittlungsinstrument geschaffen, das sowohl den Anforderungen der Strafverfolgung als auch den Datenschutzvorgaben gerecht wird. In einer zunehmend digitalisierten Welt bietet das Quick-Freeze-Verfahren eine zeitgemäße Antwort auf die Herausforderungen der digitalen Beweissicherung.

Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger) (Alle anzeigen)

Veröffentlicht von

Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht mit einem Faible für Cybercrime, IT-Forensik, Cybersecurity und digitale Beweismittel. Hier bei LinkedIn zu finden!