Auf dem Aachener Verkehrssymposium 2024 habe ich ein wenig zum Thema „Car Forensik“ gesprochen. Den formalen Vortrag stelle ich im Folgenden mit Verweisen und ausgewählten Fundstellen zur Verfügung:
Ich freue mich, heute über ein Thema sprechen zu dürfen, dem im Bereich digitaler Beweismittel eine ganz besondere Bedeutung zukommt: Car-Forensik. In einer Welt, in der moderne Fahrzeuge immer vernetzter werden, öffnen sich der Strafverfolgung dabei völlig neue Ermittlungsansätze und vorbei sind die Zeiten, in denen es allein um das Auslesen eines Pkw ging. Denn ein Pkw sammelt – wenn auch begrenzt für die Dauer seiner Benutzung – mehr Daten und kann hierauf bezogen sowohl mehr „live“ als auch „post-mortem“ Einblicke in Abläufe verschaffen, als ein Smartphone.
Die Frage, wie digitale Spuren in Fahrzeugen gesichert und genutzt werden können, spielt eine gravierende und sich steigernde Rolle. Heute geht es darum – in der begrenzten Zeit – einen kurzen Blick darauf zu werfen, was technisch möglich ist und wie die Rechtslage dazu aussieht.
Technologische Entwicklung und digitale Spuren in Fahrzeugen
Beginnen wir mit der technologischen Entwicklung in den Fahrzeugen selbst. In den letzten 20 bis 25 Jahren hat sich die Technik in Fahrzeugen stark gewandelt: Wo früher einfache elektromechanische Systeme dominierten, finden wir heute hochkomplexe und vernetzte Computertechnologien. Ein modernes Fahrzeug ist mit verschiedenen CAN-Bus-Systemen (Controller Area Network: Ein standardisiertes Kommunikationssystem) ausgestattet, die jeweils unterschiedliche Funktionen steuern – von sicherheitsrelevanten Systemen wie ABS bis hin zu Komfort- und Kommunikationssystemen.
Von besonderer Bedeutung für die Car-Forensik ist längst der Event Data Recorder, kurz EDR, der in vielen modernen Fahrzeugen verbaut ist. Diese EDRs, gerne auch „Blackbox“ benannt, speichern Fahrdaten wie Geschwindigkeit, Bremsverhalten oder die Aktivierung von Sicherheitssystemen, und zwar oft in den letzten Sekunden vor einem Unfall. So ist der Einbau eines EDR bereits seit den 1990er Jahren in vielen Pkw Standard – und seit Juli 2022 müssen alle neuen Fahrzeuge gemäß der VO (EU) 2019/2144 mit einem umfassenden Unfalldatenspeicher ausgestattet sein. Hinzu kommen die bei modernen Fahrzeugen vorhandenen vernetzten Funktionen, die unter anderem das Auffinden gestohlener Fahrzeuge, den Fernzugriff auf einzelne Fahrzeugfunktionen oder die Sammlung von Verkehrsdaten ermöglichen. Das frühere Multimedia-System ist dabei längst ein fortwährend vernetztes Infotainment-System, das umfassende Daten in Echtzeit an externe Server übermittelt; wenn es nicht lokal speichert und ausgebaut werden muss.
Diese vernetzten Daten sind eine Fundgrube für Ermittler, insbesondere bei schweren Unfällen oder illegalen Fahrzeugrennen. So fallen bei modernen Fahrzeugen Datenmengen um die 25 GB pro Stunde an – hier können Daten zur Beschleunigung, zum Lenkverhalten, der Sitzplatzbelegung, GPS-Koordinaten oder zur Geschwindigkeit aufschlussreiche Informationen liefern. Moderne Autos haben dabei interne Speicher von einem Terrabyte und mehr verbaut. Insbesondere neue Funktionen wie die Müdigkeitserkennung zeigen, was möglich ist, wo aus Blinkverhalten, Lenkmuster und Fahrspurverhalten Rückschlüsse gezogen werden. Wichtig ist hierbei, dass der Zugriff der Ermittler auf diese Daten in der Regel nicht durch Verschlüsselung erschwert oder unterbunden werden darf, da dies der Intention der gesetzlichen Vorgaben zuwiderlaufen würde.
Car-Forensik: Relevanz der digitalen Spuren für die Forensik
Digitale Spuren sind mittlerweile eine wichtige Ergänzung zur klassischen Unfallaufnahme. Während Bremsspuren oder Beschädigungen an Fahrzeugen früher die hauptsächliche Grundlage für eine Unfallrekonstruktion darstellten, bieten heute digitale Spuren neue Möglichkeiten, insbesondere bei komplexen Verkehrssituationen. Daten wie Lenkwinkel, Bremsdruck oder Geschwindigkeit können helfen, den genauen Ablauf eines Unfalls zu rekonstruieren und eine mögliche Schuld der Beteiligten zu klären.
Allerdings sind Ermittler zumindest beim physischen Zugriff auf die Kooperation der Fahrzeughersteller angewiesen. Ohne die notwendigen Informationen über die Interpretation der Daten aus den Steuergeräten ist eine Auswertung oft nicht möglich. Denn auch hier gilt: Digitale Spuren sind nur Indizien, die erst einen Beweiswert durch ihre Wertung haben – insbesondere das Einfügen in ein Gesamtbild. Hier zeigt sich eine der größten Herausforderungen für die Ermittlungsbehörden: Die Frage des Zugangs zu diesen Daten und der Möglichkeit, sie korrekt zu interpretieren – und die Interpretation zu überprüfen!
Juristische Herausforderungen bei der Nutzung von Car-Forensik
Damit sind wir bei den juristischen Herausforderungen angekommen. Einerseits sieht das deutsche Strafprozessrecht vor, dem Grunde nach alle potenziellen Beweismittel zu sichern, also auch die digitalen Spuren in den Fahrzeugen. Allerdings stellt sich immer wieder die Frage, wie diese Daten zu bewerten sind: Hier gelten die Grundsätze zu digitalen Spuren insgesamt. An dieser Stelle ist zu erinnern, dass eine digitale Spur kein Beweismittel im strengen Sinne ist, denn ihre Aussage erschöpft sich in ihrer schlichten Existenz. Digitale Spuren, nichts anderes gilt für Daten aus Pkw, sind Indizien, ähnlich DNA-Spuren. Mit der Rechtsprechung des BGH sind solche Indizien einer Würdigung im Einzelfall und in einem Gesamtbild zu unterziehen, damit Ihnen eine Aussagekraft zuzusprechen ist. Wie bei allen Indizien ist es damit erst das Gesamtbild, das dem Indiz eine Aussage gibt. Das Gesamtbild aber wird konstruiert, ausgehend von der Ermittlungshypothese und dazu stehenden Alternativhypothesen. Ein frühzeitiges Festlegen auf eine Hypothese, in die man die Indizien „digitale Spuren“ nur noch einfügt, ist der größte Trugschluss moderner, digitaler Ermittlungen. Dabei gebietet wissenschaftliches Arbeiten gerade, durch Falsifikation mehrerer Annahmen verifizierte Annahmen herauszuarbeiten – und nicht eigene Annahmen schlicht zu verifizieren, was nur dem Bestätigungsfehler als klassischer kognitiver Verzerrung Vorschub leistet.
Eine weitere rechtsstaatliche Schwierigkeit ergibt sich durch die Abhängigkeit von den Fahrzeugherstellern: Der Zugriff auf die Daten ist oft nur mit spezieller Software oder gar mit direkter Hilfe der Hersteller möglich. Dies führt dazu, dass noch Ermittlungen verzögert oder gar unmöglich werden, wenn die Hersteller nicht kooperieren. In dieser Zeit sind Pkw beschlagnahmt oder mitunter Haftsituationen eingetreten, die Verfügbarkeit von Daten ist damit nicht alleine wirtschaftlicher Faktor, sondern verkanntes rechtsstaatliches Problem.
Die Situation wird zusätzlich dadurch verkompliziert, dass die meisten modernen Fahrzeuge auch vernetzte Funktionen anbieten, wodurch Daten unter Umständen in der Cloud gespeichert werden. Der physische Zugriff der Ermittler auf im Fahrzeug vorgehaltene Daten erfolgt dabei nach §§ 94, 110 StPO, wobei der Zugriff auf in der Cloud gespeicherte Daten problematisch sein kann, insbesondere wenn die Speicherung im Ausland stattfindet. Hier allerdings reagiert die Gesetzgebung, denn EU-weit wird durch die e-Evidence-Verordnung geregelt, dass auch grenzüberschreitend Zugriffe möglich sind; so können deutsche Richter zukünftig hinsichtlich bestimmter Daten auch unmittelbare Herausgabe bei Providern im EU-Ausland anordnen. Der so geschaffene „EU-Beweismittelraum“ rückt also ein Stück weit näher zusammen.
Zugriff auf Dienste und Daten in Fahrzeugen
Der Zugriff auf Fahrzeugdaten außerhalb des Fahrzeugs erfolgt in der Regel im Rahmen eines behördlichen Auskunftsersuchens oder eines gerichtlichen Beschlusses, welcher an den Automobilhersteller oder den Anbieter des jeweiligen Dienstes gerichtet wird. Je nach Art der angefragten Daten und der jeweiligen Rechtsgrundlage können unterschiedliche Verfahren zur Anwendung kommen. Bestands- und Nutzungsdaten, die im Rahmen von Konnektivitäts- und Mobilitätsdiensten generiert werden, fallen unter die Regelungen der §§ 100g, 100j und 100k StPO. Diese Vorschriften ermöglichen es den Strafverfolgungsbehörden, auf Fahrzeugdaten zuzugreifen, die etwa zur Unfallrekonstruktion oder zur Ortung von Fahrzeugen genutzt werden können.
Die Form der Anfrage kann dabei variieren: Häufig werden Daten direkt aus Steuergeräten im Fahrzeug ausgelesen, entweder durch den Hersteller selbst oder durch autorisierte Dritte. In anderen Fällen sind Automobilhersteller verpflichtet, Daten aus ihren Back-End-Systemen bereitzustellen, etwa Positionsdaten oder Nutzungsprotokolle, die in der Cloud gespeichert sind. In diesen Fällen wird die Auskunftserteilung teils auf § 95 StPO, teils auf die speziellen Regelungen der §§ 100g, 100j, 100k StPO gestützt. Oftmals erfordert der Zugriff eine komplexe Zusammenarbeit, da die Daten nicht immer leicht zugänglich oder klar verortet sind. Die Ermittler müssen sich häufig auf die technische Unterstützung durch die Hersteller verlassen, um Zugriff auf die benötigten Informationen zu erhalten. Das führt zu erheblichen Zeitverlusten in der Praxis – aber auch mangelnder Transparenz für Verteidiger. Denn: Aus der Masse an Daten, auf die originär erst einmal nur die Ermittler Zugriff haben, wir dann nur das herausgesucht, was zur Stützung der Ermittlungshypothese dient.
Doch: Wichtig ist eben, dass bei der Auswertung der Daten aus einem Fahrzeug eine zwingende Verifizierung im Abgleich mit dem Gesamtspurenbild am Ereignisort, speziell den Aussagen sowie den Fahrzeugschäden und eventuell vorhandenen Verletzungen erfolgen muss. Nur so kann eine seriöse und belastbare Analyse der Daten gewährleistet werden. Darum ist es in der Rechtsprechung des EGMR, die allmählich in Deutschland ankommt, auch etabliert, dass es ein selbstverständliches Recht der Verteidigung ist, auf solche Daten zuzugreifen und nicht nur mit dem so genannten Auswerteberichten vorlieb nehmen zu müssen.
Zugriff auf Dienste-Daten
Am besten verdeutlicht die Problematik der Unterscheidung physischen und digitalen Zugriffs eine Entscheidung des OLG Frankfurt, die sich mit der Verpflichtung eines Fahrzeugherstellers befasst, GPS-Daten eines Kraftfahrzeugs im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen herauszugeben. Der zentrale Punkt dieser Entscheidung dreht sich um die Ermächtigung der Ermittlungsbehörden, die Herausgabe von Echtzeit-Standortdaten, einschließlich GPS-Daten, über den Mercedes-me-connect-Dienst zu verlangen.
Hintergrund (vereinfacht): Ein flüchtiger Angeklagter soll ein mit dem Mercedes-me-connect-Dienst ausgestattetes Fahrzeug benutzen. Dieser Dienst ermöglicht es, über eine fest verbaute SIM-Karte kontinuierlich verschiedene Daten, wie den Standort des Fahrzeugs, an einen Server zu übermitteln. Die Datenübermittlung erfolgt im Zwei-Minuten-Takt. Die Ermittlungsbehörden beantragten beim Gericht, dass die Standortdaten dieses Fahrzeugs erhoben werden, um den Aufenthaltsort des Angeklagten zu ermitteln.
Juristische Grundlage: Die rechtliche Grundlage für die Herausgabe der Daten stützt sich auf § 100k der Strafprozessordnung (StPO). Diese Norm erlaubt es unter bestimmten Voraussetzungen, dass ein Diensteanbieter, der einen digitalen Dienst (damals: Telemediendienst) betreibt, Nutzungsdaten herausgeben muss. Als digitaler Dienst im Sinne des § 100k StPO wird auch der Mercedes-me-connect-Dienst eingestuft. Der Gerichtsbeschluss betont, dass GPS-Daten als „Standortdaten“ gelten, die unter den Begriff der „Nutzungsdaten“ fallen und daher nach § 100k StPO übermittelt werden können.
Problematische Aspekte: Eine der Herausforderungen war die Klärung, ob es sich bei den erhobenen Daten um reine „Standortdaten“ handelt oder ob eventuell auch „Inhaltsdaten“ betroffen sind, die nicht so einfach herausgegeben werden dürfen. Diese Unterscheidung ist wichtig, da Inhaltsdaten einen stärkeren Schutz genießen. Letztlich entschied das Gericht, dass die Standortdaten, insbesondere GPS-Daten, unter die Regelung des § 100k StPO fallen und daher (unter vereinfachten Umständen) herauszugeben sind.
Dashcams
Dashcams, also kleine Kameras, die in Fahrzeugen angebracht sind und permanent den Verkehr aufzeichnen, sind zunehmend Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen, wenn es um ihre Nutzung als Beweismittel geht. Im deutschen Zivilprozess ist die Verwertung von Dashcam-Aufnahmen in der Regel zulässig, sofern eine Güterabwägung ergibt, dass das Interesse an der Wahrheitsfindung höher zu bewerten ist als der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Das Amtsgericht Regensburg beispielsweise ließ eine Dashcam-Aufnahme als Beweismittel zu, da diese eindeutig belegte, dass die gegnerische Partei falsche Angaben gemacht hatte, was andernfalls zu einem Prozessbetrug geführt hätte. Dashcams sind im Straßenverkehr Teil der Sozialsphäre, was bedeutet, dass der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung hier relativ gering ausfällt.
Im Strafprozess wird ähnlich argumentiert. Hier kommt es ebenfalls auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen an. Während die StPO einige spezifische Beweisverwertungsverbote kennt, wie etwa die §§ 136a oder 252 StPO, gilt grundsätzlich, dass Dashcam-Aufnahmen, auch wenn sie unter Umständen datenschutzrechtliche Bestimmungen verletzen könnten, verwertbar sind, wenn der Nutzen zur Wahrheitsfindung deutlich überwiegt. Datenschutzrechtliche Regelungen werden im Strafprozess nicht als Täterschutz betrachtet, sodass das Interesse an der Aufklärung von Straftaten Vorrang genießt. Insgesamt sind Dashcam-Aufnahmen daher sowohl im Zivil- als auch im Strafprozess verwertbar, solange eine individuelle Abwägung der betroffenen Rechte dies rechtfertigt.
Mein Tipp ist, es sich hier nicht zu kompliziert zu machen: Wenn ein Dashcam-Video zur Verfügung steht, läuft es im Kern immer am Ende auf eine Abwägung hinaus. Man wird als Prozessbevollmächtigter das Interesse an der Verwertung dabei emotionslos mit den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen abwägen müssen; je umfassender oder intimer eine Überwachung festzustellen ist, umso mehr wird die Aufnahme nicht zu verwerten sein – im Gegenzug ist das Hinnehmen von offenkundigen Rechtsbrüchen undenkbar, wenn etwa falscher Tatsachenvortrag und letztlich ein versuchter Prozessbetrug im Raum stünden bei Annahme eines Beweisverwertungsverbotes. Ein Klassiker bis heute ist – neben der bekannten BGH-Rechtsprechung – eine Entscheidung des Landgerichts Memmingen, das nach detaillierter Abwägung zu dem Ergebnis kam, eine Dashcam-Aufnahme nicht zu verwerten, weil Nachbarn sich dauerhaft überwacht fühlen würden.
Weitere praktische Fallbeispiele und Erfahrungen aus der Praxis
Ich möchte kurz auf ein Fallbeispiel hinweisen, um die Bedeutung dieser Technologie zu verdeutlichen: In einem bekannten Fall („Unfall Uber-Volvo, 2018“) eines schweren Verkehrsunfalls konnten die im EDR gespeicherten Daten zeigen, dass der Fahrer zum Unfallzeitpunkt erheblich zu schnell unterwegs war und die Bremsen erst kurz vor dem Aufprall betätigt hatte. Diese Informationen waren ausschlaggebend dafür, dass der Fahrer nicht nur zivilrechtlich haftbar gemacht werden konnte, sondern auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde. Ich weise darauf hin, weil der umfangreiche Forensikbericht frei verfügbar ist und als detailliertes Beispiel zur Vertiefung dienen kann.
Neben den positiven Einsatzmöglichkeiten der Car-Forensik gibt es jedoch auch erhebliche Herausforderungen und Risiken. So sind moderne Fahrzeuge anfällig für Manipulationen und Cyberangriffe. Ein bekanntes Beispiel ist die sogenannte „CAN-Bus-Injection“. Hierbei greifen Täter in die interne Kommunikation des Fahrzeugs, das sogenannte CAN-Bus-System, ein. Der CAN-Bus steuert den Datenaustausch zwischen verschiedenen Steuergeräten und Modulen im Fahrzeug. Kriminelle können durch Manipulation des CAN-Bus-Systems auf zentrale Steuergeräte zugreifen und etwa die elektronische Wegfahrsperre deaktivieren, um das Fahrzeug zu stehlen. Dies erfolgt oft über die OBD-Datenschnittstelle oder durch direkten Zugang zu Kabeln, die etwa hinter dem Scheinwerfer zugänglich gemacht werden.
Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte „Gameboy“-Angriff: Hierbei handelt es sich um ein Gerät, das es ermöglicht, ein Fahrzeug kontaktlos zu öffnen und zu starten, indem das System getäuscht wird, einen gültigen digitalen Schlüssel zu erkennen. Solche Tools werden über einschlägige Online-Marktplätze vertrieben und zeigen die Verwundbarkeit der heutigen Fahrzeuge gegenüber unbefugtem Zugriff auf. Die Täter nutzen dabei einen Software-Emulator, um das Signal zwischen Auto und Funkschlüssel abzufangen und das Fahrzeug zu öffnen. Dieser Emulator kann als alltägliches Gerät, wie ein Game Boy, getarnt sein und benötigt nur wenige Sekunden, um den richtigen Code zu berechnen. So stieg die Diebstahlrate in England zwischen 2012 und 2023 um 50 %, was zu höheren Versicherungsprämien führte. Die Polizei empfiehlt Besitzern von Fahrzeugen mit Keyless-Go-Systemen, ihre Schlüssel in speziellen Hüllen aufzubewahren.
Auch der Fernzugriff auf Fahrzeuge über vernetzte Dienste stellt ein erhebliches Risiko dar. Über unzureichend geschützte Bluetooth-, WLAN- oder Mobilfunkschnittstellen ist es möglich, auf das Infotainment-System oder andere Steuergeräte zuzugreifen. Dies eröffnet Kriminellen die Möglichkeit, Fahrzeuge aus der Ferne zu manipulieren, wie es bereits in einem bekannten Fall im Jahr 2015 bei einem Jeep Cherokee demonstriert wurde, der von Hackern komplett übernommen werden konnte. Im Jahr 2018 machten Analysen von Tencent Keen aufmerksam: Seinerzeit aktuelle BMW-Modelle konnten aufgrund einer Sicherheitslücke über Mobilfunknetzwerke von Angreifern übernommen werden. Die Experten warnten, dass die Schwachstelle es Hackern ermöglichen würde, die Kontrolle über Fahrzeugfunktionen zu erlangen, was potenziell zu gefährlichen Situationen führen kann.
In dem Zusammenhang sind Over-the-Air-Updates (OTA-Updates), die zur Aktualisierung der Fahrzeugsoftware dienen, ein potenzielles Risiko. Wenn diese Updates nicht ausreichend abgesichert sind, können Angreifer Schadsoftware in das Fahrzeug einbringen und so den Zugriff auf zentrale Systeme erlangen. Diese Schwachstellen zeigen, dass wir bei der Sicherung von Fahrzeugdaten auch immer die Manipulierbarkeit und die Absicherung gegen Cyberangriffe im Blick haben müssen. Wobei all diese Zugriffsmöglichkeiten auch Ermittlern zur Verfügung stehen, zu erinnern ist, dass mit verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung Ermittler entdeckte Sicherheitslücken ausnutzen dürfen – und nicht melden müssen.
Fazit
Die Car-Forensik bietet uns neue, sehr detaillierte Erkenntnisse, die uns helfen können, Verkehrsunfälle aufzuklären und Verantwortlichkeiten zu klären. Doch mit diesen technischen Möglichkeiten gehen auch Herausforderungen einher, insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz und die Rechte der beschuldigten Personen. Dabei ist gerade im Umfeld strafrechtlicher Ermittlungen anzunehmen, sich nicht vorschnell auf Gesamtbilder festzulegen, sondern durch Alternativhypothesen den Blick zu weiten auf andere Szenarien, in die sich die Indizien digitaler Spuren einfügen lassen.
Es ist wichtig, dass gerade Juristen diese neuen Technologien verstehen und lernen, ihre Potenziale wie auch ihre Grenzen richtig einzuschätzen. Unsere Ausbildung kann uns dabei bei zukünftigen ethischen Fragen von besonderer Hilfe sein, denn Sie dürfen nicht zu naiv denken: Smartphones sind in modernen Pkw fest mit dem Infotainment-System gekoppelt, wobei moderne Smartphones zahlreiche körperliche Daten erfassen.
Der mittelbare Zugriff auf körperliche Daten unter dem Verweis auf die Verkehrssicherheit, etwa zur Erkennung von Müdigkeit oder Alkoholisierung, ist doch schon jetzt absehbar. Insoweit ist es keineswegs Zukunftsmusik, wenn schon heute in Kalifornien neuronale Daten gesetzlich vor Missbrauch geschützt werden – eine Diskussion, die hierzulande noch abwegig erscheint.
Am Ende mein persönlicher Rat: Nehmen Sie die Risiken durch Manipulation und Cyberangriffe ernst – und entwickeln Sie geeignete Maßnahmen, um diese Gefahren einzudämmen. Die Rechtsprechung ist bislang unbarmherzig: Digitale aufgebrochene Pkw haben keine physischen Einbruchsspuren, bei sogenannten „Relay Attack“ Angriffen greift daher kein Versicherungsschutz. Leider kann ich das an der Stelle nicht vertiefen und verweise auf die Beiträge in meinem Blog unter https://www.ferner-alsdorf.de/thema/autohack/ – Machen Sie sich klar, dass ihr Pkw für Angreifer nützlicher ist, als man denkt, gerade weil man sich hier sicher fühlt. Wer denkt bei „großem Lauschangriff“ schon daran, dass Ermittler über ein OTA-Update die Firmware des Pkw zielgerichtet angreifen und Gespräche im Pkw über das ohnehin (zur Sprachsteuerung bzw. als Teil der Freisprechanlage) verbaute Mikrofon live mithören?
Literatur zum Thema:
- Studie (EN): Digital Data Extraction for Vehicles Forensic Investigation
- BMI (AT): Autodaten als Beweis
- BMI (AT): Beweismittel Auto
- Heise: Ford meldet Patent für peraonlisierte Werbung im Auto an – auf Basis geführter Gespräche?
- Aufsatz (PDF): Das Auto als forensischer Datenspeicher
- Ferner in BeckOK-StPO, §2 TDDDG Rn. 26.2
- Deusch/Eggendorfer: Car-Forensik und Datenschutz in DSRITB 2020, 1001
- Aufsatz (PDF): Digitale Spuren in Fahrzeugen die Zukunft ist bereits Realität
- Prütting: Gespeicherte Daten im Fahrzeug als Beweis im Zivil- und Strafprozess in RAW 2018, 15
- Matsumoto: Der strafprozessuale Zugriff auf Fahrzeugdaten gegenüber Automobilunternehmen in RAW 2020, 118
- Digitale Beweissicherung nach einem Cyber-Incident – So schützen Unternehmen ihre Daten und Beweise - 31. Oktober 2024
- Car-Forensik - 25. Oktober 2024
- Quick-Freeze: Gesetzentwurf 2024 - 24. Oktober 2024