Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (11 W 15/24) befasst sich mit der Vollstreckung der Herausgabe von Kryptowährungen aus einer Wallet, die treuhänderisch verwahrt wurden. Die Entscheidung wirft interessante rechtliche Fragen zur Durchsetzbarkeit von Urteilen im Zusammenhang mit digitalen Assets auf, insbesondere angesichts der technischen Herausforderungen und der mangelnden Verfügbarkeit von notwendigen Zugangsdaten.
Sachverhalt
Im Jahr 2018 schlossen die Gläubigerin und der Schuldner einen Treuhandvertrag, in dem der Schuldner verpflichtet war, Kryptowährungen in sogenannten Wallets (virtuellen Geldbörsen) zu verwahren. Nachdem Streitigkeiten über die Voraussetzungen für die Auszahlung der Kryptowährungen auftraten, erklärte die Gläubigerin die außerordentliche Kündigung des Treuhandvertrags und schloss einen neuen Vertrag mit einem anderen Treuhänder.
Mit Urteil vom 14. Februar 2020 verurteilte das Landgericht Bonn den Schuldner zur Herausgabe der Kryptowährungen. Dieses Urteil wurde durch das Oberlandesgericht Köln bestätigt. Der Schuldner kam dieser Verpflichtung jedoch nicht nach, was zur Einleitung der Zwangsvollstreckung führte. Der zur Herausgabe verpflichtete verwies dabei auf eine Reihe von (angeblichen) Problemen:
Er behauptet zum anderen, die Herausgabe in Gestalt des Transfers der von ihm verwalteten Kryptowährungen an einen anderen Treuhänder sei ihm unmöglich.
Ein Zugriff auf diese Währungen sei – grundsätzlich – nur mittels entweder des ursprünglich benutzten „Ledgers“ oder mit einem neuen „Ledger“ in Verbindung mit der sogenannten „Recovery Phrase“ möglich. Beide Möglichkeiten bestünden jedoch aktuell nicht (mehr): Der alte Ledger A.Ö. sei infolge eines Updates der Firmware unbrauchbar geworden.
Die fehlende Zugriffsmöglichkeit mittels des alten Ledgers sei durch die Privatgutachter R. und M. bestätigt worden, deren Gutachten der Schuldner im Beschwerdeverfahren zu den Akten gereicht hat (Bl. 236 f. Zwangsmittelheft Nr. 2; Bl. 16 ff. OLGA). Soweit eine Wiederherstellung grundsätzlich auch über die Recovery Phrase möglich sei, versage dies im Streitfall gleichfalls: Diese bestehe aus 24 Wörtern, die der Schuldner sich händisch auf sechs Zetteln (Bl. 13 OLGA) notiert habe (Bl. 239 Zwangsmittelheft Nr. 2). Einen Teil der zugehörigen Notizen habe er selbst verwahrt, einen Teil zwischenzeitlich Herrn Z. überlassen (Bl. 239 Zwangsmittelheft Nr. 2). Nach Versagen des alten Ledgers habe er versucht, mittels der wieder zusammengesetzten Recovery Phrase den sog. „Private Key“ wiederherzustellen, was – aus ihm nicht erfindlichen Gründen – misslungen sei (Bl. 240 Zwangsmittelheft Nr. 2).
Rechtliche Analyse
Die Vollstreckung der Herausgabe von Kryptowährungen stellt besondere Herausforderungen dar: Laut § 888 ZPO kann die Herausgabe von unvertretbaren Sachen nur durch den Schuldner selbst erfolgen, womit allenfalls ein Zwangsgeld zur Erzwingung einer Herausgabe angeordnet werden kann.
Dies trifft auf die Herausgabe von Kryptowährungen aus einer Wallet zu, da nur der Walletinhaber die notwendigen Zugangsdaten (Private Keys) besitzt, um auf die Wallets zuzugreifen:
Die Zwangsvollstreckung richtet sich – wovon auch beide Seiten ausgehen – im vorliegenden Fall nach § 888 ZPO. Denn die geschuldete Übertragung der auf den zwei Treuhandwallets verwahrten Kryptowährungen, insbesondere Bitcoin und T., kann von einem Dritten an Stelle des Vollstreckungsschuldners nicht vorgenommen werden, weil nur er auf die konkreten Wallets zugreifen kann. Die Erfüllung dieser titulierten Verpflichtung bedarf insofern zweifellos der Mitwirkung des Schuldners, auch wenn dieser sich ggf. seinerseits weiterer Hilfe bedienen muss.
Unmöglichkeit der Herausgabe
Der Schuldner argumentierte, dass ihm die Herausgabe der Kryptowährungen unmöglich sei, da der für den Zugriff notwendige Ledger aufgrund eines Firmware-Updates unbrauchbar geworden sei und die Wiederherstellung des Private Keys mit der Recovery Phrase gescheitert sei. Diese Behauptung wurde durch Privatgutachten gestützt, jedoch nicht vollständig anerkannt.
Das Gericht stellte klar, dass die Festsetzung von Zwangsgeld oder Zwangshaft nur dann ausgeschlossen sei, wenn eindeutig feststehe, dass der Schuldner erfolglos alle zumutbaren Maßnahmen unternommen habe, einschließlich der Einschaltung von Spezialisten:
Allerdings schließt die objektive oder subjektive Unmöglichkeit der Handlung eine Anordnung von Zwangsgeld oder Zwangshaft stets aus (BGH, NJW-RR 2009, 443, 444). Auf den Zeitpunkt des Eintritts der behaupteten Unmöglichkeit kommt es dabei nicht an; ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Titel hat keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, so dass eine Vollstreckung aus ihm unzulässig ist (vgl. BGH, NJW-RR 1992, 450).
Die Festsetzung von Zwangsgeld oder Zwangshaft ist jedoch nur dann nicht möglich, wenn eindeutig feststeht, dass der Vollstreckungsschuldner erfolglos alle zumutbaren Maßnahmen einschließlich der Einschaltung Dritter unternommen hat, wobei die Voraussetzungen für diesen Ausnahmetatbestand der Vollstreckungsschuldner im Einzelnen darzulegen hat (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 443, 444; OLG Köln, Beschluss vom 3. August 2011, Az. 16 W 1/11, juris Rn. 13; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. April 2019, Az. 13 WF 64/19, juris Rn. 10). Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme hat der Vollstreckungsschuldner noch nicht alle zumutbaren Maßnahmen unternommen.
Es kommt danach vorliegend nicht darauf an, ob die Ansicht der Gläubigerin, der Schuldner mache lediglich eine Unzumutbarkeit im Sinne einer wirtschaftlichen bzw. faktischen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 2 BGB geltend und könne dies ausschließlich im Wege und unter den Beschränkungen der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO einwenden (Bl. 71 OLGA), zutrifft oder nicht.
Aufwand zur Wiederherstellung des Zugriffs auf die Wallet
Das OLG hat im vorliegenden Fall detailliert dargelegt, welche Maßnahmen der Schuldner unternommen hat, um den Zugriff auf die Wallets wiederherzustellen, und welche Bemühungen noch erforderlich sind.
- Untersuchung durch Privatgutachter: Der Schuldner hatte Gutachten von IT-Forensikern in Auftrag gegeben, um die Funktionalität des Ledgers und die Gültigkeit der Recovery Phrase zu überprüfen. Die Gutachten konnten jedoch den Zugang zu den Wallets nicht wiederherstellen.
- Unzureichende Prüfung: Es stellte sich heraus, dass nur eines der beiden Wallets (das T.L.-Wallet) geprüft wurde. Die Möglichkeit, dass das andere Wallet (Bitcoin-Konto) zugänglich ist, wurde nicht ausreichend untersucht. Der gerichtliche Sachverständige erklärte, dass Fehler aufgrund der Konzentration auf ein Wallet nicht ausgeschlossen werden könnten und eine vollständige Prüfung beider Wallets notwendig sei.
- Technische Möglichkeiten: Der Sachverständige führte weiter aus, dass es technisch möglich sei, die Reihenfolge der Wörter in der Seed Phrase bis zu einem gewissen Grad zu variieren und dadurch den Private Key zu rekonstruieren. Hierfür existieren spezielle Softwarelösungen am Markt, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Diese spezifische Hilfe hat der Schuldner bislang nicht in Anspruch genommen.
- Fehlerhafte Auftragserteilung: Der beauftragte Privatgutachter war zunächst nur mit der Durchführung einer Suche mit „angemessenem Aufwand“ beauftragt und hat die Suche nach 49 Stunden beendet. Dies wurde als unzureichend angesehen, insbesondere angesichts der Möglichkeit, leistungsfähigere Hardware und spezialisierte Software zu nutzen.
- Ergänzende Maßnahmen: Obwohl der Schuldner eine ergänzende Begutachtung vorlegte, wurde diese als nicht ausreichend betrachtet, da der Gutachter sich an vorherigen Untersuchungen orientierte und keine umfassende Prüfung gemäß den Empfehlungen des gerichtlichen Sachverständigen durchführte.
Falsch benannte Wallet
Wie ist damit umzugehen, wenn die Wallet im Vollstreckungstitel falsch benannt ist: Hier gilt der allgemeine Grundsatz, dass eine unklare Bezeichnung des Vollstreckungstitels nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen ist.
Bei der Auslegung eines Vollstreckungstitels ist von dem Tenor der zu vollstreckenden Entscheidung auszugehen; erforderlichenfalls sind ergänzend die Entscheidungsgründe und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Antrags- oder Klagebegründung sowie das Vorbringen der Parteien heranzuziehen; das Prozessgericht, das als zuständiges Vollstreckungsorgan über eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme aus einem von ihm selbst erlassenen Titel entscheidet, kann bei der Auslegung des Titels ausnahmsweise auch seine im Erkenntnisverfahren gewonnenen Erkenntnisse heranziehen und damit Umstände berücksichtigen, die außerhalb des Titels liegen. Das OLG dazu:
Vorliegend ist zwar nach dem Wortlaut des Titels nur die Heraushabe der Token aus den beiden näher bezeichneten Treuhandwallets des Schuldners „T.L.“ und „C.E.“ geschuldet.
Diese sind im Titel aber näher bezeichnet durch die jeweiligen Buchstaben-Ziffern-Kombinationen (Public Keys); diese individuellen Kombinationen bestimmen entscheidend den Inhalt des Titels. Zwischen den Parteien ist zudem unstreitig, dass es abgesehen von der C.E.-Wallet nur ein „Treuhandkonto“ mit der tenorierten Buchstaben-Ziffern-Kombinationen N01 gibt, auf dem die zu verwaltenden (s. Bl. 116 Zwangsmittelheft Nr. 2) und nun herauszugebenden Coins liegen, welches der Schuldner zudem selbst stets als „T.L.“ bezeichnet hat (s. Anlage ASt 7, Bl. 158 Zwangsmittelheft Nr. 2).
Unter diesen Umständen wäre eine etwaige bloße Falschbezeichnung unerheblich, weil die Auslegung des Titels mit der erforderlichen Eindeutigkeit ergibt, dass jenes bzw. jene T.-Konto/en mit der näher bezeichneten „Public Key“ gemeint ist, auf der sich die Coins nach übereinstimmendem Parteivortrag befinden. Beide Parteien mögen dabei übereinstimmend davon ausgegangen sein, dass die zu verwaltenden Coins auf der Wallet T.L. liegen (so Bl. 245 Zwangsmittelheft Nr. 2 u. Bl. 10 OLGA). Ebenso übereinstimmend – und dies ist entscheidend – gingen sie in diesem Fall indes davon aus, dass sich das Klagebegehren und der Tenor auf alle T.m-Wallets bezieht, auf der die Coins tatsächlich liegen, die den näher bezeichneten Public Key tragen und die sie sowohl im Erkenntnisverfahren über drei Instanzen hinweg als auch bislang im Vollstreckungsverfahren übereinstimmend als T.L. bezeichnet haben.
Auch das Privatgutachten des Schuldners geht letztlich in Übereinstimmung hiermit davon aus, dass sich die Adresse eines Kontos aus dem öffentlichen Schlüssel ergibt und sich verschiedene Coins (z.B. T. und T.L.) auf dieser gleichlautenden Adresse befinden könne (Bl. 17 f. OLGA).
Fazit
Die Entscheidung des OLG macht deutlich, dass die Gerichte bei der Vollstreckung der Herausgabe von Kryptowährungen hohe Anforderungen an die Bemühungen des Schuldners stellen, die erforderlichen Zugangsdaten zu erlangen. Dies unterstreicht die Komplexität der Vollstreckung von Urteilen im Bereich digitaler Vermögenswerte und die Notwendigkeit, alle technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um der gerichtlichen Anordnung nachzukommen. Das Gericht entschied nun, dass der Schuldner nicht alle zumutbaren Maßnahmen ausgeschöpft habe, um seiner Herausgabepflicht nachzukommen. Es wurde ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 25.000 € festgesetzt. Die Anordnung von Zwangshaft wurde als ultima ratio zurückgestellt, solange die Möglichkeit bestehe, den Willen des Schuldners durch Zwangsgeld zu beugen.
Für betroffene Parteien bedeutet diese Entscheidung, dass sie bei der Verwahrung und Verwaltung von Kryptowährungen besonders sorgfältig vorgehen müssen.
Es ist unerlässlich, sicherzustellen, dass alle notwendigen Zugangsdaten sicher und zugänglich aufbewahrt werden, um rechtlichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Für Gerichte und Vollstreckungsorgane stellt die Entscheidung eine Richtlinie dar, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen technische Hindernisse geltend gemacht werden – sonst wird es teuer,.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Schuldner nicht alle zumutbaren Maßnahmen ausgeschöpft habe, um den Zugang zu den Geldbörsen wiederherzustellen. Es wurde darauf hingewiesen, dass es Unternehmen gibt, die sich auf die Wiederherstellung solcher Seed Phrases spezialisiert haben, und dass der Schuldner diese Möglichkeit in Betracht ziehen sollte. Insbesondere sei es zumutbar und daher zu erwarten, externe Dienstleister zu beauftragen und deren Fachwissen und Rechenleistung in Anspruch zu nehmen.
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